Schlagwort: Provenienz

  • Antiquarisches für den Wiederaufbau

    Antiquarisches für den Wiederaufbau

    Erwerbungen über Gerd Rosen und den Deutschen Buchexport

    Zu den Mitteln der Buchbeschaffung, mit denen das Deutsches Buch- und Schriftmuseum in den 1950er Jahren den Wiederaufbau seiner Sammlungen vorantreibt, zählen auch antiquarische Ankäufe, die, wenn sie im Ausland erfolgen, über die Deutsche Buchexport GmbH abgewickelt werden. Auf diesem Weg erwirbt das Deutsche Buch- und Schriftmuseum auf Auktionen der Westberliner Kunst- und Antiquariatshandlung Gerd Rosen seltene Bücher, aber auch ägyptische Kleinplastiken und südostasiatische Palmblatthandschriften.

    Blick in den Katalog des Antiquariats Gerd Rosen, Berlin zur Versteigerung 27 (1956), Die Nr. 1688 ist mit der Zugangsnummer des Museums annotiert. Foto: DNB, Laura Stein

    Gerd Rosen ist heute vor allem als Inhaber der ersten Kunstgalerie bekannt, die 1945 im kriegszerstörten Berlin neu eröffnet wird. Ihr Schwerpunkt sind die Klassische Moderne und zeitgenössische Kunst. Die wertvollen und seltenen Bücher, die der gelernte Antiquar im hinteren Teil seiner Geschäftsräume zeigt, finden anfangs wenig Beachtung. Erst als einige der von ihm vertretenen Künstler sich von ihm trennen, kehrt Rosen zu seinen Ursprüngen im Antiquariatshandel zurück, verkauft in seinen Auktionen neben Büchern aber auch weiterhin Kunstgegenstände.1

    Goethe, Johann Wolfgang von: West-oestlicher Divan. Erstausgabe. Stuttgart, Cotta 1819. Frontispiz und Titelblatt. Foto: DNB, Laura Stein

    Die im Deutschen Buch- und Schriftmuseum aufbewahrten Kataloge dieser Auktionen sind gleichermaßen Sammlungsobjekt, Quelle zur Geschichte des Antiquariatshandels und Dokumentation der eigenen Erwerbungen. Als Handexemplare der Sammlungsleiter/-innen genutzt, enthalten sie annotierte Kaufpreise und Zugangsnummern des Museums. Über die Vorgeschichte der Objekte geben die Kataloge jedoch nur bedingt Aufschluss: Wer die Objekte bei Rosen in den Verkauf eingeliefert hat, wird im Katalog durch codierte Nummern angegeben, deren Auflösung bislang nicht entschlüsselt ist. In manchen Fällen verweist die Katalogbeschreibung auf Provenienzmerkmale, so etwa bei einer in der Auktion XXVII angekauften Erstausgabe von Goethes West-Oestlichem Divan: „Sauberes Exemplar. Exlibris. Vorsatz mit Widmungsgedicht, dat. 1842“2.

    Das Exlibris ermöglicht es, ein Verfolgungsschicksal aufzudecken: Seine Eigner Emil und Jenny Baerwald waren ein jüdisches Kaufmannsehepaar, dem nach den Novemberpogromen 1938 die Flucht in die USA gelang. Teile ihres Umzugsgutes wurden in Hamburg beschlagnahmt und dort mutmaßlich 1942 versteigert. Wie die Goethe-Erstausgabe in den Berliner Antiquariatshandel gelangte, bleibt unklar – dennoch handelt es sich ohne Zweifel um einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust.3

    In anderen Fällen werfen die Katalogeinträge neue Fragen auf. So ist anhand der Einlieferer-Nummer mehrerer 1956 angekaufter ägyptischer Kleinplastiken erkennbar, dass sie aus einer größeren Privatsammlung mit Schwerpunkt auf ägyptischen und griechisch-römischen Antiken stammen, die geschlossen bei Rosen zur Auktion kam.4 Geschäftsunterlagen zu dieser Auktion können bislang nicht ermittelt werden. Verschiedene Quellen deuten aber darauf hin, dass Rosen vor allem für Privatverkäufer aus Ostberlin und der DDR ein beliebter Anlaufpunkt war und selbst Ankaufsreisen in die DDR unternahm.5 Sind die Erwerbungen des Deutschen Buch- und Schriftmuseums insofern das Ergebnis innerdeutscher Ost-West-Ost-Transfers? Dieser Spur ist weiter nachzugehen.

    Dieser Beitrag ist ein Kapitel aus der Publikation „Tiefenbohrung. Eine andere Provenienzgeschichte“. Infos zum Gesamtprojekt zur Provenienzgeschichte des Deutschen Buch- und Schriftmuseums sind hier zu finden: dnb.de/tiefenbohrung

    Emily Löffler

    Dr. Emily Löffler ist in der Deutschen Nationalbibliothek für die Provenienzforschung verantwortlich.


    1. Markus Krause, Galerie Gerd Rosen: Die Avantgarde in Berlin 1945-1950, Berlin: Ars Nicolai 1995, S. 26-27 und 33-35 und Carl-Ernst Kohlbauer, „Gerd Rosen (1903-1961) – Antiquar, Galerist und Auktionator in Berlin“, in: Auf dem Antiquariat NF 9 (2011), Nr. 5, S. 199-218, hier S. 203-205. ↩︎
    2. Gerd Rosen Auktionen, Versteigerung XVII, 2. Teil: Bücher, Autographen, 16.-20. November 1956, Berlin 1956, Losnummer 1688, S. 25. ↩︎
    3. Looted Cultural Assets (Hrsg.), Personendatensatz „Baerwald, Emil“, URL: http://lootedculturalassets.de/index.php/Detail/Entity/Show/entity_id/5003 (abgerufen am 02.09.2021) und Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Rep. 36 A (II), Nr. 1568. ↩︎
    4. Gerd Rosen Auktionen, Versteigerung XVI, 2. Teil: Kunst, 5.-9. Mai 1956, Berlin 1956, Losnummern 3782, 3800, 3804, 3808 und 3809. ↩︎
    5. Kohlbauer, S. 210-211. ↩︎
  • „Koloniale Reisesouvenirs“

    „Koloniale Reisesouvenirs“

    Asiatica aus Seifhennersdorf

    Zwei Palmblatt-Handschriften, zwei chinesische Bücher, ein chinesischer Holzschnitt, japanische Postkarten und ein Briefmarkenalbum – so setzt sich das Konvolut zusammen, das 1952, vermittelt durch das sächsische Landesamt für Denkmalpflege, als „Tauschmaterial Seifhennersdorf“ in den Museumsbestand gelangt. Seine Objektgeschichte macht Vernetzungen zwischen Ostasien und der sächsischen Provinz, aber auch zwischen der DBSM-Erwerbungsgeschichte und der Museumspolitik der DDR sichtbar.

    Detailansicht eines chinesischen Buchs, dessen Beschriftung Rückschlüsse auf die Provenienz zulässt: „Chinesisches Buch aus den Ruinen von Tonku. Gesch. v. H. Seeoffizier R. Hohlfeld.“ Vermutlich um 1900 an das Heimatmuseum Seifhennersdorf übergeben. Foto: DNB, Laura Stein

    Der erste Eindruck ist paradox: Obwohl die beiden indischen Palmblatthandschriften, die chinesischen Bücher und japanischen Postkarten anhand ihrer Objektbezeichnung in einen ostasiatischen Kontext zu verorten sind, verweist die Provenienzangabe „Heimatmuseum Seifhennersdorf“ auf eine sächsische Kleinstadt und verknüpft die Objekte überdies mit dem assoziationsreichen Begriff „Heimat“.

    Von Entdeckungsreisen bis koloniale Gewalt

    Detail eines chinesischen Holzschnitts „Beschreibung der Krabbe mit menschlichem Gesicht“. Vermutlich um 1900 an das Heimatmuseum Seifhennersdorf übergeben. Foto: DNB Laura Stein

    Die Rekonstruktion ihrer Provenienz erlaubt es, die scheinbare Widersprüchlichkeit aufzulösen. Sie offenbart, dass sowohl die Palmblatt-Handschriften als auch die chinesischen und japanischen Objekte bereits seit der Wende zum 20. Jahrhundert Bestandteil des Seifhennersdorfer Museums sind. Die Sammlung gehört zu diesem Zeitpunkt dem örtlichen Humboldt-Verein, der in der Tradition der Humboldt-Bewegung steht und vom Interesse an der Entdeckung der Welt und den Naturwissenschaften geprägt ist.1 Die Sammlungen dieser Vereine profitieren vom Forscherinteresse ihrer Mitglieder und deren Reisen nach Übersee. Auch die Seifhennersdorfer Asiatica werden auf Reisen von Seifhennersdorfer Bürgern erworben und dem Verein um 1900 als Schenkungen übereignet.2 Mitunter haften an den Souvenirs aus Fernost jedoch Spuren der Machtasymmetrien des Kolonialismus, wenn nicht sogar von kolonialer Gewalt, wie die Objektbeschriftung „Chinesisches Buch aus den Ruinen von Tonku. Geschenk v. H. Seeoffizier R. Hohlfeld“ vor Augen führt. Verweist der Dienstgrad des Vorbesitzers bereits auf die Seefahrt, so deutet die Ortsbezeichnung „Tonku“ erst recht einen militärischen Zusammenhang an: Während des Boxerkrieges in China 1900/1901 war Tonku einer der Kriegsschauplätze der deutschen Marine.3 Handelt es sich bei dem Reiseandenken also um Beutegut?

    DDR-Museumspolitik und der Objekttausch

    Nicht nur die Verknüpfungen zwischen Provinz und Übersee werfen Fragen hinsichtlich der Provenienz der Asiatica auf. Zu Beginn der 1950er Jahren gerät die inzwischen zu einem Heimatmuseum umgewandelte Vereinssammlung ins Visier der DDR-Museumspolitik: Um die Profile einzelner Museen schärfer herauszubilden, initiiert das Landesamt für Denkmalpflege einen museumsübergreifenden Objektetausch.4 Die meisten Seifhennersdorfer Ethnographica werden an die Staatlichen Ethnographischen Sammlungen in Leipzig und Dresden abgegeben – doch warum wird auch das Deutsche Buch- und Schriftmuseum berücksichtigt? Fallen die Abgaben überhaupt in den Kontext der Museumsprofilbildungen? Und impliziert der Begriff „Tauschmaterial“, dass das Deutsche Buch- und Schriftmuseum im Gegenzug Objekte abgeben musste? Klar ist bislang nur: Die Provenienz der Seifhennersdorfer Asiatica zeugt nicht nur von globaler Vernetzung, sondern ebenso von den Wechselfällen der sächsischen Museumsgeschichte.

    Dokumentation zur Katalogisierung der Palmblatt-Handschriften des Deutschen Buch- und Schriftmuseums in den 1960er Jahren. Zwei Handschriften stammen aus dem Heimatmuseum Seifhennersdorf. Foto: DNB, Laura Stein

    Dieser Beitrag ist ein Kapitel aus der Publikation „Tiefenbohrung. Eine andere Provenienzgeschichte“. Infos zum Gesamtprojekt zur Provenienzgeschichte des Deutschen Buch- und Schriftmuseums sind hier zu finden: dnb.de/tiefenbohrung.

    Emily Löffler

    Dr. Emily Löffler ist in der Deutschen Nationalbibliothek für die Provenienzforschung verantwortlich.


    1. Andreas Daum, Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert: Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit 1848-1914, Berlin: Oldenbourg Verlag 2018, 138-145. ↩︎
    2. Abschrift einer Leihquittung für die Dt. Staatsbibliothek Berlin, Betreff: Katalogisierung der indischen Palmblatthandschriften des Dt. Buch- und Schriftmuseums, 20. Juli 1966. ↩︎
    3. Susanne Kuß, Deutsches Militär auf kolonialen Kriegsschauplätzen: Eskalation von Gewalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Berlin: Links 2010, S. 53-55. ↩︎
    4. Tina Oppermann, „Übernahme von ‚Problemkontexten‘ im Zuge der Museumsprofilierung zu DDR-Zeiten am Beispiel der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen, in: Retour. Freier Blog für Provenienzforschende, veröffentlicht am 07.09.2021, URL: https://retour.hypotheses.org/1654 (zuletzt abgerufen am 10.09.2021). ↩︎
  • Nur ein Stück Papier

    Nur ein Stück Papier

    (kein) Bestand der Sammlung Zweiter Weltkrieg

    Bei der bibliothekarischen Arbeit hält man mitunter Exemplare in der Hand und staunt, wie bemerkenswert sich doch in einem einzelnen Blatt Papier ganze Jahre an Zeitgeschichte oder besondere historische Ereignisse ablesen lassen.

    Druckschriften wie Plakate, Flugblätter oder Handzettel erzählen uns – ähnlich wie Ego-Zeugnisse in Form von Autobiografien, Tagebüchern, Briefen etc. – viele Geschichten. In ihnen verdichten sich die Geschehnisse ihrer Zeit. Obgleich sie meist nur mit wenigen Worten bedruckt sind, ist es gerade diese Verknappung, die in der Lage ist, uns besonders zu berühren. Wer wollte 1919 gelebt haben, wenn er vom Kohlemangel liest? Wen lässt es kalt, wenn er liest, dass in Kriegszeiten Haare gesammelt wurden, um Matratzen herzustellen? So zogen mich bei der Erschließung der Sondersammlungen zu den Weltkriegen immer wieder Plakate als historische Quellen in den Bann. Dabei sind es oft ihre Provenienzwege, die weitere interessante Geschichten hervorbringen.

    Gehen Sie mit auf Entdeckungsreise zu einem kleinen Blatt, das in der Sammlung Zweiter Weltkrieg zu prüfen war. Wie sich nach einem kurzen Blick herausstellte, lag hier kein Plakat vor, sondern nur eine Abbildung davon, die möglicherweise aus einer Zeitschrift ausgeschnitten war. Was hat es damit auf sich?

    Inhalt und Form des Plakats

    Die abgebildete Bekanntmachung stammt aus dem besetzten Paris des Septembers 1941. Auf ihr sind zehn Namen bekannt gemacht worden, von Personen, die von den deutschen Besatzern erschossen wurden. Die Erschießung erfolgte als Sühneaktion für kurz vorher stattgefundene Anschläge von Résistance-Kämpfern auf deutsche Wehrmachtsoldaten. Das Plakat sieht gestalterisch und typografisch aus wie viele andere dieser Zeit, weshalb man davon ausgehen kann, dass es tatsächlich existierte. Der Aushang auf rotem Papier war ein Signal der deutschen Befehlshaber und kein Einzelfall, da solche Erschießungen bei Widerstandsakten Teil der nationalsozialistischen Besatzungspolitik waren.

    Zu Beginn der Besatzung in Frankreich 1940 fand die Repression der Bevölkerung durch Polizei, Gerichte und Internierung statt. Je länger der Weltkrieg andauerte und je mehr Anschläge auf die Besatzungsmacht ausgeübt wurden, desto mehr Geiseln erschossen die Nationalsozialisten und verknüpften diese mit der Judenverfolgung. Gegen das Besatzungsregime und die mit ihm kollaborierende Vichy-Regierung erhoben sich zahlreiche Gruppen der Résistance. Nach einem Attentat einer solchen Gruppe im August 1941 wurde angekündigt, dass alle in Haft befindlichen Franzosen als Geiseln anzusehen seien, die hingerichtet werden könnten. Ein einziger getöteter Deutscher wurde durch 50 bis 100 Geiseln vergolten (vgl. „Sühnebefehl“ von Wilhelm Keitel, für den er 1946 verurteilt wurde).

    Solche Geiselmorde wurden von der Wehrmacht auch an der Ostfront, in Italien usw. angeordnet und für „völkerrechtlich legal“ erklärt. Geiselnahmen und Erschießungen von Zivilisten sind zwar kriegsrechtlich möglich gewesen, die „Sühnemaßnahmen“ der Deutschen waren jedoch unverhältnismäßig und somit Kriegsverbrechen.

    Bis 1943 wurden über 800 solcher Hinrichtungen in Frankreich dokumentiert, ihre tatsächliche Zahl ist jedoch nicht bekannt. In den Nürnberger Prozessen sprach man von über 20.000. Der auf dem Plakat als Verfasser auftretende Otto von Stülpnagel, 1940-1942 Militärbefehlshaber in Frankreich, hatte sich gegen solche Sühne-Erschießungen ausgesprochen und forcierte die Deportation der Juden, Kommunisten und anderer politischer Gegner.

    Rote Plakate, „affige rouge“, hingen 1944 in ganz Frankreich – Propagandaplakate der deutschen Besatzer zur Verunglimpfung der Widerstandsgruppe um Missak Manouchian, die ebenfalls Attentate verübt hatte. Die Gruppe wurde unter dem Namen „Groupe d‘ Affige Rouge“ bekannt. So ist der Plakatanschlag von 1941 aus Paris – wie viele andere aus der Kriegssammlung 1939-1945 – ein trauriges Zeugnis der nationalsozialistischen Besatzungspolitik, unter der während des Zweiten Weltkriegs fast ganz Europa litt.

    Herkunft des Plakats

    Was hat es nun mit der Abbildung auf sich? Befindet sich das abgebildete Blatt in unserem Bestand? Nein. Es hat auch 1941 nicht den Weg in die Kriegssammlung gefunden, obwohl seinerzeit Erwerbungsreisen nach Paris stattfanden, vgl. Sammlung in besetzten Gebieten.

    Als die Plakatsammlungen der Bibliothek von 1961 bis 1993 im Zwischenbesitz des Georgi-Dimitroff-Museums in Leipzig waren, wurden sie dort um Ankäufe und Schenkungen angereichert, vgl. Kriegssammlungen auf Umwegen. Das Museum war 1952 – 1990 ein DDR-Museum im Reichsgerichtsgebäude, das der Erinnerung an Georgi Dimitroff und den Reichstagsbrandprozess sowie allgemein dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus gewidmet war.

    Im Mai 1968 besuchten französische Linke das Museum in Leipzig und brachten die kleine Abbildung mit. Sie erwähnten dabei, dass es sich bei dem auf dem Plakat genannten Lucien Blum (1879-1941) um einen Bruder von Léon Blum (1872-1950), den ehemaligen französischen Ministerpräsidenten handle, selbst Sozialist und Verfolgter des NS-Regimes. Bei Interesse könne dieses Plakat und weitere Materialien aus Frankreich überbracht werden.

    Ob dies später geschah, ist heute nicht mehr zu rekonstruieren. In unserer Sammlung befindet es sich nicht. Lediglich eine handschriftliche Notiz zum Vorgang hat sich erhalten. Zweifelhaft ist, ob die Aussage stimmt, dass der genannte Lucien wirklich Bruder von Léon Blum war. Lucien Blum ist ein häufiger Name. Leon Blum hatte vier Brüder, darunter einen jüngeren Bruder René (1878-1942), der als einer der ersten Juden in Paris 1941 von der (Vichy-)Polizei verhaftet wurde und deportiert sowie 1942 von den Nazis im KZ Auschwitz ermordet wurde. Es gab tatsächlich einen älteren Bruder Lucien, doch die Lebensdaten stimmen nicht überein. Verschiedene Quellen geben als Geburtsjahr 1869 oder 1871 an, auf dem Plakat hingegen ist das Geburtsjahr 1879 und das Sterbejahr 1950. In Schriften zu Léon Blum fand ich keine Hinweise.

    Was bezweckten die französischen Besucher 1968 mit ihrem Plakatangebot und ihrer Aussage?

    Auch wenn die DDR erst 1973 von Frankreich anerkannt wurde, bestanden doch zwischen beiden Ländern nach dem Krieg kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen. Französische Delegationen besuchten immer wieder die DDR. Der Élysée-Vertrag von 1963 schrieb als Freundschaftsvertrag für Westdeutschland regelmäßige Konsultationen der Regierungen und einen verstärkten Jugendaustausch mit Frankreich fest. Solche Austausche, Städtepartnerschaften usw. gab es auch mit der DDR. Für viele Intellektuelle, insbesondere Vertreter der Kommunistischen Partei Frankreichs galt der Osten aufgrund seiner antifaschistischen Grundhaltung als das „bessere Deutschland“. Die französischen Besucher konnten sich somit sicherlich ideologisch mit den Genossen in Leipzig identifizieren.

    Lassen wir das beiseite, so erschien ihnen das Plakat wohl wichtig, um die Erinnerung an die Zeit 1940-1945 zu erhalten. Ihr Besuch in Leipzig zeigt somit zumindest den Glauben an eine versöhnte, friedliche Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland.

    Yvonne Jahns

    Yvonne Jahns ist wissenschaftliche Bibliothekarin und Fachreferentin für Recht und Politik in der Inhaltserschließung der Deutschen Nationalbibliothek.

  • Phönix oder Greif

    Phönix oder Greif

    Wertvolle Bestände aus der Leipziger Stadtbibliothek kommen ins Museum

    Im Deutschen Buch- und Schriftmuseum und im Hauptbestand der Deutschen Nationalbibliothek befinden sich eine ganze Reihe von Bänden, die ursprünglich in der Leipziger Stadtbibliothek bewahrt wurden. Die seit 1667 bestehende Bürgerbibliothek erhält in ihrer Geschichte viele Stiftungen und Schenkungen, bevor sie in den 1950er Jahren ihren Status als wissenschaftliche Bibliothek verliert und ihren wertvollen Altbestand an verschiedene Bibliotheken abgeben muss. Nach vielen Verlusten im Zweiten Weltkrieg ist das ein weiterer schmerzhafter Einschnitt, der erst nach der Wiedervereinigung mit vertraglichen Regelungen gelindert wird.

    Leipzig 1952: Die Trümmer des Zweiten Weltkrieges sind noch längst nicht beseitigt. Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum hat sich 1950 aus seinem schwer zerstörten Gebäude am Gerichtsweg unter den rettenden Schirm der nahezu unzerstörten Deutschen Bücherei geflüchtet. Die großen Bestandsverluste zu ersetzen ist ein zentrales Anliegen der 1952 frisch gekürten Abteilung des Hauses am Deutschen Platz.

    Eine Gelegenheit bietet sich im selben Jahr. Die traditionsreiche Leipziger Stadtbibliothek verliert bereits im Jahr 1951 ihren Status als wissenschaftliche Bibliothek. Per Dekret des sächsischen Staates wird deren von bürgerlichen Stiftungen und Schenkungen geprägte Bestandsgeschichte auf den Prüfstand gestellt und für anachronistisch erklärt.1 Der nach dem Totalverlust des Gebäudes 1944 verbliebene, immer noch wertvolle Altbestand geht zu großen Teilen an die Universitätsbibliothek Leipzig. Um den nicht unbedeutenden Rest entbrennt ein Konkurrenzkampf zwischen dem Deutschen Buch- und Schriftmuseum und der Deutschen Bücherei auf der einen und dem Leipziger Kunstgewerbemuseum auf der anderen Seite.

    Der Ratsbeschluss Nr. 713/A 1 der Stadt Leipzig macht im November 1952 die Umwandlung der Stadtbibliothek in eine Allgemeine Öffentliche Bibliothek endgültig offiziell. Zugleich besiegelt er die bereits beschlossene Eingliederung ihrer historischen Buchbestände in andere wissenschaftliche Institutionen.2 Am 29. Mai 1953 erfolgt die weitgehend formlose Übergabe von Fachliteratur und Musterdrucken aus dem Bestand der Stadtbibliothek an das Museum auf Grundlage einer bereits im Februar eingereichten Liste von gewünschten Büchern. Kleinere Konvolute kommen später dazu, so dass 265 Werke in 510 Bänden auf diese Weise bis 1954 ins Museum gelangen.

    Ein weiterer Ratsbeschluss vom 4. Juni 1962 regelt die Überführung der Sammlung künstlerischer Bucheinbände des 20. Jahrhunderts aus der Stadtbibliothek ans Museum, diesmal mit dem Status der Dauerleihgabe. Auch die Deutsche Bücherei erhält Bände aus der Stadtbibliothek, mit denen sie Kriegsverluste ausgleicht, sowie eine Archivaliensammlung zu Hermann Marggraff (1809-1864). Im selben Jahr findet mit der Übergabe einer wertvollen Inkunabel an die Deutsche Bücherei die Zerschlagung einer bedeutenden Altbestandsbibliothek ihren Abschluss. Propagandistischer Anlass ist das fünfzigjährige Bestehen der Deutschen Bücherei. Die Mentelinbibel im Lederschnitteinband hat letztlich wenig mit dem Bestand der Deutschen Bücherei zu tun und landet im Tresor des Buchmuseums.

    Jahre nach der Wiedervereinigung geraten diese Vorgänge unter geänderten Vorzeichen wieder in den Fokus. Die Leipziger Stadtbibliothek stellt entsprechend dem Einigungsvertrag einen Restitutionsantrag für ihre Altbestände, der bis 2002 unbearbeitet bleibt.3 Juristische Fragen werden neu gestellt: War die Bestandszerstreuung rechtens? Wem gehören die Bücher eigentlich? Die separate Restitution der Sammlung Marggraff wird sogar vorbereitet, jedoch verbleibt das Konvolut am Ende – vertraglich abgesichert – im Museum. Der Klärungsprozess zu den Büchern findet erst 2021 seinen Abschluss, als die Deutsche Nationalbibliothek und die Leipziger Städtischen Bibliotheken einen Depositalvertrag über alle abgegebenen Bestände unterzeichnen.

    Eine der Vertragsbedingungen ist eine umfassende Bestandsrevision. Erste Blicke in die Bände zeigen, dass mit dem Abschluss des Vertrages längst nicht alle Eigentumsfragen geklärt sind. Viele der Bücher hat die Stadtbibliothek – zum Ausgleich ihrer Kriegsverluste – erst in den Jahren ab 1944 beschafft. Unter diesen Erwerbungen findet sich auch NS-Raubgut aus jüdischem Besitz. So enthalten 14 Zeitschriftenbände aus der Stadtbibliothek das Exlibris des jüdischen Bibliophilen Raoul Jellinek-Mercedes (1883-1939), der 1939 aufgrund des von der Gestapo ausgeübten Verfolgungsdrucks durch Suizid starb. Seine heute weit verstreute Bibliothek ist Gegenstand mehrerer laufender Restitutionsverfahren in Deutschland und Österreich.

    Nach Kriegsende übernimmt die Stadtbibliothek wiederum Teile anderer aufgelöster Altbestandsbibliotheken. Die berühmte Bibliotheca Afrana beispielsweise wird schon 1948 per Dekret des Ministeriums für Volksbildung der Landesverwaltung Sachsen zu großen Teilen anderen Bibliotheken zugeführt. Da die Schule nicht in der bisherigen Weise bestehen bleiben solle, werde die Bibliothek in der Form nicht mehr gebraucht, so die zeitgenössische Erklärung. Von vielen Bänden fehlt bis heute jede Spur. Auch aus während der Bodenreform enteigneten Schlossbibliotheken kommen in jenen Jahren Bücher zur Verteilung. Noch ist die Stadtbibliothek, die bis 1951 zu den wichtigen Altbestandsbibliotheken in Sachsen zählt, Nutznießerin dieser Translokationen – doch nur drei Jahre später teilt sie das gleiche Schicksal.

    Die Werke, die sich heute im Museum befinden, sind häufig Zeugen mehrfachen Unrechts, das – aus heutiger Sicht – den besitzenden Personen und Körperschaften geschah. Das Museum dokumentiert im Zuge der Revision diese Provenienzen, arbeitet in enger Kooperation mit der Stadtbibliothek die Fälle auf, recherchiert eventuelle Berechtigte und setzt gegebenenfalls Restitutionsverfahren in Gang.

    Dieser Beitrag ist ein Kapitel aus der Publikation „Tiefenbohrung. Eine andere Provenienzgeschichte“. Infos zum Gesamtprojekt zur Provenienzgeschichte des Deutschen Buch- und Schriftmuseums sind hier zu finden: dnb.de/tiefenbohrung.

    Bettina Rüdiger

    Bettina Rüdiger ist Sammlungsleiterin für das Buch vor 1900 und Leiterin der Fachbibliothek im Deutschen Buch- und Schriftmuseum.

    Emily Löffler

    Dr. Emily Löffler ist in der Deutschen Nationalbibliothek für die Provenienzforschung verantwortlich.


    1. Erste Durchführungsbestimmung der „Verordnung über die Umgestaltung des Hochschulwesens“ vom 3. März 1951, zitiert nach Mannschatz, Hans-Christian Mannschatz, Wie viele Leben hat eine Bibliothek? In: Leipziger, Eure Bücher! Leipzig 2009, S. 84-104 ↩︎
    2. Ebenda ↩︎
    3. Die Leipziger Stadtbibliothek – eine unendliche Geschichte. Leipzig 2002, S. 17 ↩︎
  • Plakatsammlung Zweiter Weltkrieg

    Plakatsammlung Zweiter Weltkrieg

    in Zusammenarbeit mit Maja Hetmank, Yvonne Jahns und Julia Rinck

    Die Plakatsammlung Zweiter Weltkrieg im Buchmuseum der Deutschen Nationalbibliothek stellt beispielhaft die Entwicklung der Plakatgestaltung des Zeitraums 1939-1945 dar und ist heute in ihrer Dichte eine bedeutende historische Quelle von Originalmaterialien wie Bildplakaten, Flugblättern, Anschlägen und Handzetteln.

    Geschichte der Sammlung

    Die Deutsche Bücherei Leipzig1 begann im Ersten Weltkrieg eine Sondersammlung „aller auf den Krieg, seine Vorgeschichte und seinen Verlauf bezüglichen Druckwerke“2. Nach diesem Vorbild sollte auch für den Zweiten Weltkrieg eine Sammlung angefertigt werden. Der Beschluss wurde in einem Informationsblatt zur Kriegssammlung im September 1939 bekanntgegeben. In diesem heißt es: „Gesammelt wird das gesamte mit dem Krieg zusammenhängende deutsche und fremdsprachige Schrifttum des Reiches und der besetzten Gebiete, insbesondere Extrablätter, Flugblätter und Fliegerabwürfe, Feld-, Soldaten- und Gefangenenlager-Zeitungen und -Zeitschriften, Bekanntmachungen, Plakate, Maueranschläge und sonstige aus Anlaß [sic] des Krieges erscheinende Gelegenheitsdrucke.“3

    Neben Bildplakaten umfasst die Sammlung tausende textbasierte Plakate, Anschläge, Flugblätter und Handzettel. Foto: DNB, Maja Hetmank.

    Die heute noch vorhandene Sammlung umfasst ca. 6.000 Blätter aus der Zeit von 1933-1945, insbesondere Plakate und Maueranschläge.4 Sie handeln von Themen zur Regierung, NSDAP, Parteien und Wahlen, Justiz, Wehrmacht, Wirtschaft, Gesellschaft, Propaganda, Truppen- und Formationsgeschichte sowie zu Kriegsschauplätzen, Feldzügen und zur deutschen Besatzung.5

    Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg sollte zum Aufbau der Sammlung zunächst keine großangelegte Werbekampagne gestartet werden. Der Öffentlichkeit waren das Vorgehen und das Ziel der möglichst vollständigen Erfassung bekannt, weswegen lediglich Pressenotizen in zahlreichen Tageszeitungen und Fachblättern veröffentlicht wurden, mit dem Hinweis darauf, welches Material benötigt werde.  Zusätzlich eröffnete Anfang Dezember 1939 eine einmonatige Ausstellung aus beiden Kriegssammlungen, um die Wichtigkeit und Vielfältigkeit dieser darzustellen und die Mithilfe der Bevölkerung anzuregen.6 Zudem war die Deutsche Bücherei der Aufsicht des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda unterstellt, was eine Abgabe je eines Druckexemplars etlicher Dienststellen per Anordnung ermöglichte.7 Als der Eingang kriegsbedingt ins Stocken geriet, ergänzte der Erwerbungsleiter Albert Paust die Sammlung bei Beschaffungsreisen in die besetzten Gebiete.8 Nach dieser Zeit nahm der Zulauf von Materialien weiter ab. Dies ist vor allem auf Personalmangel, das Kriegsgeschehen und die mangelhafte Zusammenarbeit mit amtlichen Stellen zurückzuführen.9 Nach Ende des Zweiten Weltkrieges kam es zur Beschlagnahmung von Teilen der Plakatsammlung durch die Sowjetische Militäradministration, zur Abgabe an das Georgi-Dimitroff-Museum in Leipzig und von dort aus zur Verteilung in verschiedene Museen und Archive. 1993 wurden ca. 5.000 Blätter an die Deutsche Bibliothek zurückgeführt, weswegen die vorhandene Sammlung nur als Fragment bzw. Rumpfsammlung betrachtet werden kann.

    Drei Bildplakate aus der Plakatsammlung Zweiter Weltkrieg. Fotos: DNB.

    Achtung Spione. Vorsicht bei Gesprächen!

    das Buch ein Schwert des Geistes. Frontbuchhandlung Fontainbleau

    Schäm Dich, Schwätzer!

    Erschließung

    Eine Sichtung der Plakate erfolgte 1994 durch die zuständige Abteilung Sondersammlung. Erste Erschließungen fanden im Rahmen von Projekten der Anne-Frank-Shoah-Bibliothek statt, welche Teil der Deutschen Nationalbibliothek ist. In den Folgejahren fand eine vollständige Erschließung auf Konvolutebene sowie zahlreicher Einzelblätter im Rahmen studentischer Projekte statt, insbesondere mit der HTWK Leipzig und der Universität Gießen.

    Die Sammlung ist über den Online-Katalog der Deutschen Nationalbibliothek recherchierbar: Plakatsammlung Zweiter Weltkrieg (Systematik)

    Eine vollständige Digitalisierung der Sammlung ist geplant.

    Bearbeitung und Erschließung von Plakaten im Rahmen eines Praktikums. Foto: DNB.

    Themen und Beispiele

    Die Plakate bieten Einblicke in verschiedenste Bereiche des Zweiten Weltkriegs. Exemplarisch soll hier je ein Objekt zum Thema der „Versorgungslage“ und der „Sturmabteilung“ näher vorgestellt werden.

    Beispiel: Versorgungslage

    Mit dem anhaltenden Krieg wurde die Versorgungslage in Deutschland immer schlechter. Zwar wurden Lebensmittel weitgehend rationiert, dennoch wurden davon ausgenommene Produkte gezielt beschafft und gehamstert. Durch Plakate sollte der Bevölkerung vermittelt werden, dass kein Anlass zur Hortung von Lebensmitteln und Verbrauchsgütern bestünde.

    Der Künstler Max Eschle stellte eine Frau mit Hamsterkopf dar, welche schwer bepackt mit Einkäufen ist, die sie teilweise nicht mehr halten kann. Durch das Bild und den Text „Hamsterin schäme dich!“ werden ausschließlich Frauen angesprochen und bloßgestellt. Das Plakat wirkt insgesamt durch seine grelle, rote Schrift, den dunklen Hintergrund und den Schlagschatten auf der Person bedrohlich, ertappend und anklagend. 

    Hamsterin schäme dich

    Plakat „Hamsterin schäme dich„. Foto: DNB.

    Beispiel: Sturmabteilung (SA)

    Plakat „Her zu uns!„. Foto: DNB.

    Die Sturmabteilung (SA) wurde vorrangig Saalschutz gegründet, daraus gingen auch die Schutzstaffeln (SS) hervor. Ab 1921 trat sie als wehrsportliche Gruppe in Erscheinung. Sie rekrutierte ehemalige Soldaten und Freikorps-Mitglieder zum Schutz von Parteiveranstaltungen der NSDAP. Sie hatte eine besonders große Wirkung auf junge Männer ohne gesellschaftliche Anerkennung, da sie für Stärke, Geschlossenheit und Kameradschaft ohne soziale Schranken stand.

    Her zu uns!

    Im Gegensatz zur Wehrmacht, die durch die Wehrpflicht ihre Mitglieder sicher bezog, wurde der Beitritt zur SA intensiver mittels Plakaten beworben. Dies war auch 1941 noch gängige Praxis, obwohl sie nach dem Röhm-Putsch und der Ermordung der SA-Führung bedeutungsloser wurde.10 Auf dem Plakat von Ludwig Hohlwein fordert ein im für die SA typischen, braunen Hemd gekleideter und Hakenkreuzfahnen schwenkender Mann die Jüngeren zum Beitritt auf. Er appelliert mit dem Ausruf „Her zu uns! Du sollst Kämpfer sein für Wehr und Ehr“ an das „Ehrgefühl“ der Männer.

    Virtuelle Ausstellung zur Sammlung

    Zur Plakatsammlung Zweiter Weltkrieg gestalteten Kolleginnen der Deutschen Nationalbibliothek unter dem Titel „Besetzter Raum“ eine virtuelle Ausstellung, die eine Auswahl von Plakaten und Bekanntmachungen aus den von Deutschland besetzten Gebieten zeigt. Sie zeugen vom Alltag unter der Besatzungsmacht, von Ausgrenzung, Unterdrückung und Terror gegenüber der einheimischen Bevölkerung. Den späteren Generationen können sie als Mahnmal gelten, gegen nationalistische Überheblichkeit und Unterdrückung.

    Zur Ausstellung: ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/besatzung/

    Anne-Katrin Kreisel

    Anne-Katrin Kreisel studierte im Bachelorstudiengang Medien- und Kommunikationswissenschaften und Ethnologie in Halle/Saale und im Masterstudiengang Museum & Ausstellung an der Universität Oldenburg. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Küstenmuseum in Wilhelmshaven.

    Maja Hetmank

    Maja Hetmank ist Medien- und Buchwissenschaftlerin und arbeitet als Bibliothekarin in der Inhaltserschließung.

    Yvonne Jahns

    Yvonne Jahns ist wissenschaftliche Bibliothekarin und Fachreferentin für Recht und Politik in der Inhaltserschließung der Deutschen Nationalbibliothek.

    Julia Rinck

    Julia Rinck ist Kuratorin der Grafischen Sammlung und der Buntpapiersammlung im Deutschen Buch- und Schriftmuseum.

    Vielen Dank an unseren Bundesfreiwilligen Carl Götz für das Vorbereiten des Beitrags.

    
    
    
    
    
    1. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden die Deutsche Bücherei in Leipzig und die Deutsche Bibliothek in Frankfurt zu „Die Deutsche Bibliothek“ zusammenfasst. 2006 erfolgte die Umbenennung in „Deutsche Nationalbibliothek“ im Zuge des Inkrafttretens des „Gesetz[es] über die Deutsche Nationalbibliothek“. DNB – Geschichte ↩︎
    2. Siegismund, Karl (1914): Deutsche Bücherei des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig. Bekanntmachung vom 9. Oktober 1914. URL: http://d-nb.info/1033807508 ↩︎
    3. Informationsblatt über die Kriegssammlung (Sonderdruck), undatiert, Archiv der Deutschen Nationalbibliothek (ADNBL) 527/6/0, Bl. 7. ↩︎
    4. vgl. Yvonne Jahns: Sammlung in besetzten Gebieten – blog.dnb.de ↩︎
    5. vgl. Gliederung der Plakate 1933–1945: https://d-nb.info/dnbn/1032373989. ↩︎
    6. vgl. Paust, Albert (1940): Die Kriegssammlungen der Deutschen Bücherei 1914 und 1939. In: Sonderdruck aus dem Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 107, Nr. 86 vom 13.04.1940, S. 3ff. https://d-nb.info/1033820229 ↩︎
    7. vgl. Brief RMVP an die DB vom 7.12.1939, ADNBL 527/6/0, Bl. 14. ↩︎
    8. vgl. Brief DB an RMVP vom 21.09.1940, ADNBL 507/5 Bl. 20. ↩︎
    9. vgl. Schriftwechsel DB-RMVP-OKW-einzelne Propagandakompagnien von 1939/40, ADNBL 527/6/0, Bl. 15ff. ↩︎
    10. vgl. Wunderlich, Sylke (2021): Propaganda des Terrors, Plakate des NS-Staates zwischen 1933 und 1945, Berlin: Berlin Story Verlag, S. 150ff. ↩︎
  • Was bleibt?

    Vor- und Nachlässe im Deutschen Buch- und Schriftmuseum

    Die Vor- und Nachlässe1 bilden schon von ihrer Konzeption her einen besonderen Sammlungsteil im Deutschen Buch- und Schriftmuseum (DBSM), da sie nicht an einer bestimmten Mediengattung orientiert sind, sondern an einer Person als Schöpferin – wenn nicht aller enthaltenen Stücke, so doch zumindest der Sammlung als zusammengestelltes Ensemble. Dementsprechend stellen sie sich als kleine Museen in nuce dar, sowohl was die Vielfalt der möglichen Objekte angeht als auch in Bezug auf die verschiedenen Ordnungsprinzipien, die von Nachlasserin zu Nachlasser variieren und bei Übernahme durch das DBSM in der Regel nicht aufgelöst werden.

    Gert Wunderlich (Gestaltung), Klaus Wolf (Text). Vorlass Gert Wunderlich, Foto: DNB

    Erste Nachlässe

    Auch wenn sie heute auf reges öffentliches Interesse bei Forschern und Designern treffen, sind Vor- und Nachlässe erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit regelmäßig unter den Zugängen vertreten und in ihrer Besonderheit wertgeschätzt. Während von Nachlässen im Buchgewerbemuseum der Vorkriegszeit nichts bekannt ist, steht für die Nachkriegszeit fest, dass Vor- und Nachlässe öfters nach Mediengattungen auf die einzelnen Sammlungen aufgeteilt wurden, so bspw. in den 1970ern das v.a. auf Holzschnitt konzentrierte Werk des später ausgereisten DDR-Grafikers Johannes Lebek (1901–1985). Erst ab Mitte der 1990er ist ein veränderter Umgang sichtbar.

    Der früheste heute nachvollziehbare Zugang ist Anfang der 1950er Jahre der Nachlass des Leipziger Grafikers und Schriftgestalters Walter Tiemann (1876–1951), einer der bedeutendsten deutschen Buchkünstler des frühen 20. Jahrhunderts, der u.a. die erste Privatpresse der deutschen Buchkunstbewegung (die Janus-Presse) begründete und später als Direktor der Königlichen Akademie für Grafik und Buchgewerbe (heute HGB Leipzig) vorstand. Der Haushalt wurde von seiner Schwester aufgelöst und der Nachlass zunächst an die HGB übergeben, von wo er an das Museum gelangte.

    Ebenfalls aus der Frühzeit des wiederaufgebauten Museums stammt der Nachlass seines langjährigen Direktors Hans-Heinrich Bockwitz (1884–1954), der besonders zur Papiergeschichte wertvolle Forschungsbeiträge lieferte.

    Sammlungszugänge in der DDR

    In den 1960er Jahren kommt zum einen der Nachlass des böhmischen Grafikers Karl Stratil (1894–1963) durch dessen Witwe ins Haus. Stratil trat in der Zwischenkriegszeit v.a. durch Buchillustrationen und durch seine enge Zusammenarbeit mit Reclam hervor. Wie damals üblich, wird der Bestand gemäß den Mediengattungen auf verschiedene Sammlungen verstreut und liegt heute nur noch in einem Teilnachlass geschlossen vor, obwohl dieser ab 2012 durch Erwerbungen von den Töchtern wieder erweitert wurde. Zum anderen übergibt ab 1965 der Leipziger Grafiker Erich Gruner (1881–1966), bekannt besonders durch seine Arbeiten für die Leipziger Messe (z.B. das Signet des doppelten Messe-M), seine Arbeiten als Vorlass. 1978 werden diese von der Familie durch weitere Stücke aus dem Nachlass ergänzt.

    1984 folgt der Nachlass des Leipziger Buchgestalters Egon Pruggmayer (1905–1983), der zahlreiche Arbeiten für den Insel Verlag, aber auch für Reclam, Felix Meiner u.a., ausführte. Pruggmayers Nachlass sollte eigentlich an seine Lebensgefährtin nach München gehen, wird jedoch an der Grenze konfisziert, von der Firma Wendt erworben und an das Museum weiterverkauft. Die Lebensgefährtin erhält in den frühen 1990er Jahren persönliche Briefe aus dem Nachlass zurück und überlässt den restlichen Bestand der DNB.

    Vor- und Nachlässe ab 1990

    Nachlass Albert Kapr, „Ballade der schönen Helmschmied-Gattin den Freudenmädchen“, Foto: DNB, Laura Stein

    Erst ab Mitte der 1990er Jahre ist, wohl unter einer veränderten Einstellung zu Nachlässen als besonderem Sammlungstyp, ein stärkerer Zugang zu verzeichnen. Am Anfang dieser Tendenz steht der Nachlass von Albert Kapr (1918–1995), des wohl bedeutendsten Schriftgestalters der DDR, der 1955 das Institut für Buchgestaltung an der HGB begründete, dort lange Jahre als Rektor amtierte und zudem als künstlerischer Leiter im VEB Typoart Dresden wirkte. Hinzu kommen 1995/96 Materialien der Buchbinderin und HGB-Dozentin Elisabeth Altmann (1919–1996), die kurz vor und nach ihrem Tode erworben werden, sowie 1998 einige exemplarische Materialien zum Buchbindergewerbe, in Form von Lebensdokumenten von Franz Walther (1888–1962).

    Seit dem Jahr 2000 befindet sich der Nachlass des Leipziger Grafikers und Buchgestalters Karl-Heinz Birkner (1919–1995), bekannt durch Illustrationen für zahlreiche Zeitschriften sowie Wir kochen gut, das meistverkaufte Kochbuch der DDR, im Museum. Als Leihgabe der Birkner-Stiftung, welche auch die Erschließung dieses und anderer Nachlässe besorgte, stellt er zwischen den ansonsten erworbenen Nachlässen im Museum einen Sonderfall dar.

    Der Grafiker, Typograf und Medailleur Axel Bertram (1936–2019) übergibt ab 2001 seine Werke und Lebensdokumente Stück für Stück als Vorlass der DNB, wo sie auf seinen Wunsch als Archiv Axel Bertram geführt werden. Bertram war einer der produktivsten Illustratoren der DDR, arbeitete für zahlreiche Zeitschriften, gestaltete eine Reihe von Münzen für die Staatsbank der DDR und stand als Vizepräsident dem Verband Bildender Künstler der DDR vor.

    Auf den Teil-Nachlass der Kinderbuch-Illustratorin und Malerin Lieselotte Schwarz (1930–2003) folgt 2004 als Schenkung der Nachlass des Buch- und Schriftgestalters Hans Peter Willberg (1930–2003), u.a. Gründer des Forum Typografie, Geschäftsführer der Stiftung Buchkunst und Entwickler der DIN-Schriftklassifikation. Als vielleicht bedeutendster Typograf der alten Bundesrepublik trat er nach der Wende in Dialog mit Albert Kapr. Mit diesen Ergänzungen erweiterten sich die Museumsbestände zu einem zunehmend gesamtdeutschen Profil. Die Sammlung wird über die Jahre von seiner Frau Brigitte Willberg (1934–2020) ergänzt und enthält auch ein kleineres Konvolut zu ihrem Wirken als Grafikerin.

    Diese Erweiterung des bisherigen Spektrums wird 2006 noch akzentuiert durch den Erwerb des Nachlasses des Typografen Jan Tschichold (1902–1974), der in Leipzig studierte, in München lehrte und vor den Nazis in die Schweiz emigrierte. Die bahnbrechende Wirkung seiner Neuen Typografie brachte die Bauhaus-Moderne in den Mainstream der Schriftgestaltung. Aus seiner späteren Hinwendung zu klassischen Formen ging die berühmte Sabon hervor. Tschichold wirkte auch in England, zwar kurz, jedoch mit den Penguin Composition Rules mit nachhaltigem Einfluss (siehe das Kapitel in diesem Buch).

    Das Feld der Illustration wird 2007 dann durch die ersten Teile des Vorlasses von Hans Ticha (*1940) erweitert, dem 2020 der größte Teil seines bei ihm erhaltenen grafischen Werks folgt. Ticha, der mit seinem glatten, geometrischen, oft mit Pop-Art verglichenen Stil ein Einzelgänger in der DDR-Kunst war, illustrierte zahlreiche Bücher und Zeitschriften. 2009 kann das Museum zudem den Nachlass des Leipziger Illustrators Hans-Joachim Walch (1927–1991) gewinnen, der über viele Jahre als Herstellungs- und künstlerischer Leiter für den Insel Verlag tätig war; 2011 dann einen „Splitternachlass“ der Illustratorin und Malerin Rosemarie Kaufmann-Heinze (1948–1998).

    Ebenfalls 2011 kommen Unterlagen und Arbeitsmaterialien von Walter Schiller (1920–2008) ins Haus, der in enger Zusammenarbeit mit Kapr an der HGB zu Buchgestaltung und Typografie gewirkt hat und u.a. an zahlreichen Schönsten Büchern der DDR mitwirkte. 2013 folgen die Illustrationsvorlagen aus dem Nachlass des Grafikers und Malers Robert Diedrichs (1923–1995), der nach Studium in Dresden v.a. in Karl-Marx-Stadt wirkte; 2014 dann Drucke, Illustrationsvorlagen und Holzstöcke der Grafikerin und Dozentin Christa Jahr (*1941). Als weiterer „Splitternachlass“ gelangen 2015 über dessen Tochter Arbeiten zum Maler und Kunstgewerbelehrer Paul Kreher (1895–1969) ins Haus.

    Aus dem Vorlass von Egbert Herfurth, Foto: DNB

    Seit 2016 wird der Bestand an DDR-Illustration durch zwei Vorlässe bereichert: zum einen mit Egbert Herfurth (*1944), der mit zahllosen Buchillustrationen (bspw. zu Franz Fühmann) und Plakatgestaltungen in und außerhalb Deutschlands bekannt geworden ist; zum anderen mit Gert Wunderlich (*1933), der ebenso über Jahrzehnte mit Buchillustrationen, Plakaten und Schriftgestaltung in Erscheinung trat, u.a. als häufiger Juror für die Schönsten Bücher der DDR und Wegbereiter der Maxima, einer der häufigsten DDR-Schriften. Im selben Jahr wird vom Grafiker und Maler Felix M. Furtwängler (*1954) nach Auflösung seines Berliner Ateliers ein Konvolut seiner Arbeiten erworben.

    2017 folgen Teile der Nachlässe der Schriftgestalterin Irmgard Horlbeck-Kappler (1925–2016), die lange Jahre an der HGB Kalligraphie unterrichtete, sowie ihres Mannes, des Malers und Grafikers Günter Horlbeck (1927–2016), ebenfalls Professor an der HGB – in beiden Fällen weitergegeben vom Freistaat Sachsen, dem testamentarisch bestimmten Erben. Dazu kommt der illustratorische Nachlass von Volker Wendt (1945–2016), ebenfalls als künstlerischer Mitarbeiter der HGB verbunden. Außerdem finden kleinere Teile des Nachlasses des Grafikers Horst Hussel (1934–2017), der zahlreiche Bücher und Zeitschriften der DDR illustrierte, über dessen Tochter ihren Weg in die Bestände.

    Von geringem Umfang, aber mit besonderem Bezug zum Museum ist der Splitternachlass des Buchwissenschaftlers und Grafikers Fritz Funke (1920–2018), der 30 Jahre lang Direktor des Buch- und Schriftmuseums war. Im Jahr 2018 folgen Dokumente und Arbeiten des Grafikers Rudolf Uhlisch (1926–2017), übergeben von seinem Sohn. Auch Uhlisch war mit Buchgestaltung befasst, jedoch auch vielfach als Gebrauchsgrafiker tätig, u.a. für die Raumgestaltung auf der Leipziger Messe.

    Aus dem Konvolut der Buchbinderfamilie Röllig, Foto: DNB

    Die jüngsten Ergänzungen schließlich bilden seit 2019 ein Konvolut der sächsischen Buchbinder-Familie Röllig mit verschiedenen Lebens- und Geschäftsdokumenten, überwiegend aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, sowie der Nachlass der Schriftgestalterin Hildegard Korger (1935–2018), die ebenfalls lange Jahre an der HGB lehrte und mit ihren kalligraphischen Arbeiten auf mehreren Kunstausstellungen der DDR vertreten war. Hier sind auch zum ersten Mal in größerem Maße elektronische Aufzeichnungen präsent.

    Dieser Beitrag ist ein Kapitel aus der Publikation „Tiefenbohrung. Eine andere Provenienzgeschichte“. Infos zum Gesamtprojekt zur Provenienzgeschichte des Deutschen Buch- und Schriftmuseums sind hier zu finden: dnb.de/tiefenbohrung.

    Benjamin Sasse

    Benjamin Sasse ist Sammlungsleiter für die Vor- und Nachlässe und geschlossene Sammlungen im Deutschen Buch- und Schriftmuseum. Hans Tichas Zeichnungen kennt er seit seiner Kindheit. Aus Hans Falladas „Geschichten aus der Murkelei“ mit Illustrationen Tichas hat ihm seine Mutter besonders gern vorgelesen.


    1. Wobei Vorlass hier die bereits vor dem Tod übergebene Zusammenstellung eigener Lebensdokumente und Arbeitsmaterialien meint, also einen „Nachlass vor der Zeit.“ ↩︎