Kategorie: Augenblick

Neues in der DNB: Hier berichten wir von unseren Veranstaltungen, Ausstellungen und Konferenzen und von Neuigkeiten aus unserem Haus.

  • Literarische Übersetzungen in der DNB

    Literarische Übersetzungen in der DNB

    Im Rahmen eines HERMES-Projekts hat Marie-Christine Boucher von der Universität Bielefeld Daten zu deutschen Übersetzungen fremdsprachiger Werke im Katalog der DNB erhoben. Traditionell wird der Übersetzung als literarischer Praxis und Produktion weniger Aufmerksamkeit geschenkt als originalsprachlichen Texten, was zu einer relativen Unsichtbarkeit des Phänomens führt. Auch in den Katalogdaten und bibliographischen Metadaten wird Übersetzung als Phänomen ausgeblendet, da Übersetzer*innen wie Autor*innen als sonstige Mitwirkende aufgenommen werden – wenn überhaupt. Dennoch ist eine Nationalbibliothek wie die DNB mit ihrem Sammlungsauftrag der ideale Ort, um Big-Data-Analysen zu diesem Phänomen durchzuführen.

    Da Übersetzungen nicht ohne weiteres extrahiert werden können, musste dieses Phänomen über eine Annäherung operationalisiert werden. Zwar gibt es die Felder „Originalsprache“ und „Personenname (Nebeneintragung),“ die auf Übersetzungen hinweisen, doch werden diese Daten nicht systematisch erhoben. Eine Änderung der Erfassungsrichtlinien hat jedoch bereits zu Veränderungen geführt (Figur 1). Als Annäherung wurden die Sachgruppen herangezogen, die die Titel einer fremdsprachigen Literatur zuordnen (Sachgruppen 810 bis 891.8, ohne 830), auch wenn die Texte in deutscher Sprache sind. Um nur (fiktionale) literarische Texte zu extrahieren, wurde die Suche auf die Sachgruppe B beschränkt.

    Datensatz

    Der Datensatz wurde mit Hilfe der vom DNBLab zur Verfügung gestellten Jupyter Notebooks erstellt, die eine Abfrage der SRU-Schnittstelle ermöglichen. Um die Suche zu erleichtern, wurden die Daten für jedes Jahr des Untersuchungszeitraums von 1990 bis 2010 separat heruntergeladen. Vor der Datenbereinigung umfasste der Datensatz für den gesamten Zeitraum 97 420 Titel. Nach der Bereinigung der Publikationsdaten verblieben 96 667 Titel (z.B. wurden Reihen und Zeitschriften mit Publikationsdaten über mehrere Jahre entfernt). Da die Informationen zu den Übersetzungen häufig im Feld „Verfasserangabe“ und nicht im Feld „Originalsprache“ enthalten waren, wurden die Informationen aus dem Feld „Verfasserangabe“ mittels RegEx extrahiert.

    Der Datensatz enthält Übersetzungen aus 95 Sprachen. Die größte Gruppe bilden jedoch Übersetzungen, deren Originalsprache unbekannt ist. Die überwiegende Mehrheit der Übersetzungen stammt aus dem Englischen (52 635 Titel, einschließlich Sprachvarianten wie „aus dem amerikanischen/kanadischen/australischen Englisch“), gefolgt von der Gruppe mit unbekannter Originalsprache (19 808 Titel). Die drittwichtigste Originalsprache für Übersetzungen ist Französisch mit 5 552 Titeln. Danach folgen hauptsächlich Sprachen von Nachbarländern:

    Top 3-10 der meistübersetzten Sprachen; CC BY 4.0 Marie-Christine Boucher

    Von den 96 667 Titeln haben 14.625 als Nebeneintragung einen Namen, dem die Funktion „Übersetzer“ zugeordnet wurde. Aus den 14 625 Titeln ergeben sich 3618 unterschiedliche Übersetzer*innen. 1.797 Personen haben nur einen Titel übersetzt, 1.821 mehr als eine Übersetzung und 811 fünf oder mehr.

    Top 20 der Übersetzer*innen mit den meisten einzelnen Titeln; CC BY 4.0 Marie-Christine Boucher

    Projektziel

    Ziel des Projekts ist es, die (Un)Sichtbarkeit von Übersetzung, die in der qualitativen Forschung schon lange ein Thema ist, auch quantitativ zu erforschen. Auf dieser Grundlage kann im Sinne einer big translation history die Geschichte der Übersetzung in Deutschland erforscht werden. Dabei kann u.a. der Einfluss soziokultureller oder politischer Ereignisse auf die Übersetzungslandschaft untersucht werden.

    Marie-Christine Boucher

    Marie-Christine Boucher ist an der Universität Bielefeld tätig und arbeitet zu Data Literacy, Übersetzungstheorie und literarischer Mehrsprachigkeit.

    HERMES – Humanities Education in Research, Methods, and Data wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung aus Mitteln der Europäischen Union.
  • 25 Jahre in der DNB: Die Zeitschriftendatenbank

    25 Jahre in der DNB: Die Zeitschriftendatenbank

    Screenshot der Startseite der Zeitschriftendatenbank
    Startseite der Zeitschriftendatenbank

    Seit dem 01.01.2000 können die fortlaufenden Ressourcen der Zeitschriftendatenbank (ZDB) online im Bibliothekssystem ILTIS (Integriertes Literatur- und Tonträger-Informationssystem) der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) bearbeitet werden. Vorausgegangen war ein Projekt der DNB und der Staatsbibliothek zu Berlin (SBB). Das Vorhaben stand unter erheblichem Zeitdruck, da der Betrieb der ZDB auf dem bisherigen Rechner zum neuen Millennium eingestellt werden musste.

    Screenshot

    Doch dann war es soweit: Die Württembergische Landesbibliothek Stuttgart erfasste den ersten ZDB-Datensatz in ILTIS am 03.01.2000 mit dem Titel: „Via Europa: the multilingual review for the future managers of Europe“1. Inzwischen sind die damals nach ILTIS migrierten 1 Millionen Titelnachweise auf über 2,1 Millionen angewachsen – und die 5,5 Millionen Bestandsnachweise haben sich fast versechsfacht. Die ZDB ist die weltweit größte Datenbank für den Nachweis fortlaufender Ressourcen aller Art und stellt ihre kooperativ erstellten Titeldaten und den größten Teil der Bestandsdaten kosten- und rechtefrei (CC0 1.0) zur Verfügung.

    Beiträge über die Entwicklung der Zeitschriftendatenbank

    Hans-Jörg Lieder, der leider in 2023 verstorbene Leiter der Abteilung Überregionale Bibliographische Dienste der SBB2, hat die ZDB folgendermaßen beschrieben: „Als ein lebendiger Verbund hunderter aktiv teilnehmender Einrichtungen ist sie ein langjährig bewährtes Kooperationsmodell, ein Netzwerk von Kolleg*innen aus Bibliotheken, Archiven, Museen und anderen Einrichtungen, die ihre ganz unterschiedlichen Kompetenzen in die gemeinsame Sache einbringen.“3 So enthält die ZDB Titel- und Bestandsdaten aus rund 3.880 Einrichtungen.

    Zusätzlich zur Online-Bearbeitung in ILTIS hat sich das Produktportfolio um die ZDB kontinuierlich erweitert. Die Auslieferung der ZDB-Daten an regionale Bibliotheksverbünde und interessierten Institutionen erfolgt sowohl in Batchlieferungen als auch über das OAI-Protokoll zum Metadatenharvesting in unterschiedlichen Varianten des internationalen MARC 21-Austauschformates. In Kooperation mit der Elektronischen Zeitschriftenbibliothek (EZB) wurden der gemeinsame Datenlieferdienst und der Dienst Journals Online & Print (JOP)4 entwickelt, der eine parallele Bestandsabfrage für die gedruckten und elektronischen Ausgaben einer Zeitschrift ermöglicht. Auch der Start des neuen ZDB-Katalogs5 in 2017 stellte durch das moderne Design und die innovativen Features ein Meilenstein in der Weiterentwicklung der ZDB dar.

    Die ZDB wird seit 2023 im WorldCat6 als „trusted partner“ geführt und dient für die weltweit genutzte und von OCLC7 betriebene Datenbank für bibliografische Daten und Bestandsnachweise als  Normdatei für fortlaufende Ressourcen mit der Katalogisierungssprache Deutsch. Auch diese Kooperation ist Ausdruck der Position der ZDB als nationales Referenzsystem für gedruckte und elektronische fortlaufende Sammelwerke. DNB und SBB arbeiten gemeinsam daran, dass die ZDB sich den zukünftigen Herausforderungen stellen kann und sich ständig weiterentwickelt.

    1. Siehe https://zdb-katalog.de/title.xhtml?zdbid=2000001-7 ↩︎
    2. Siehe https://blog.sbb.berlin/nachruf-auf-hans-joerg-lieder/ ↩︎
    3. Siehe 50 Jahre Zeitschriftendatenbank – blog.dnb.de ↩︎
    4. Siehe https://zeitschriftendatenbank.de/services/journals-online-print ↩︎
    5. Siehe https://zdb-katalog.de/ ↩︎
    6. Siehe https://search.worldcat.org/de ↩︎
    7. Siehe https://www.oclc.org ↩︎
  • „Denken wie ein Oktopus“

    „Denken wie ein Oktopus“

    Ein vergnügt bibliothekarischer Blick in die Ratgeberliteratur 2024

    Zeichnung eines Oktpus, auf einem Bücherstapel und ein Buch lesend
    Denken, leben und lesen wie ein Oktopus – in der Literaturvielfalt der Deutschen Nationalbibliothek
    Grafik: Elke Jost-Zell

    Dezember 2024 – und wieder neigt sich ein Jahr seinem Ende zu!

    Wie auch immer es für Sie gewesen ist – und wir hoffen, dass das Gute überwog – schließen wir Frieden mit ihm und wenden uns hoffnungsfroh dem Neuen zu. Bei allem Schönen, das wir Beschäftigte in diesem Jahr in der DNB erlebten und bei allem Schwierigen, mit dem wir umgehen mussten –  auf eines kann man sich in Freud und Leid verlassen: Es gibt immer Rat zur Tat in der unerschöpflichen Ratgeberliteratur unserer universalen Sammlung!

    Fragen Sie sich an den schweren Tagen des Jahres, und des Lebens generell, auch: Wie überlebe ich schwierige Menschen? (stachlige Persönlichkeiten entwaffnen und die eigenen Stacheln entschärfen). Diesem folgt recht schnell die nächste Buchtitel-Frage: Warum so wütend? (10 Methoden, mit der Wut anderer umzugehen). Denn, wo auch immer wir sind, erleben wir Menschen in freier Wildbahn (der Leitfaden für selbstbewusstes Verhalten in Konfliktsituationen), die sofort die nächste krisengeschwängerte Frage aufwerfen: How to handle idiots (der ultimative Überlebensführer im Idioten-Dschungel ; Sympathie, Soforthilfe-Plan, Selbsttest und das meisterliche Manövrieren der Persönlichkeitstypen). Um wieder Harmonie im Sturm (praktische Strategien für inneres Wohlbefinden und Achtsamkeit im Alltag) herzustellen, müssen wir uns in dem üben, was uns der folgende Ratgeber nahelegt: Gesunder Umgang mit toxischen Menschen für Dummies (perfide Techniken: Lovebombing, Gaslighting, Ghosting und Co. ; gefährliche Menschentypen: Narzissten, Soziopathen, Psychopathen ; Abwehrtechniken: ihr Schutz gegen toxische Menschen).

    Doch das ist nicht immer leicht, denn an manchen Tagen wissen wir gar nicht, wo uns der Kopf steht. Um diesen Gedankenspiralen zu entgehen, lesen wir: Genug gegrübelt, lieber Kopf! (wie du belastenden Gedanken die Macht nimmst und mehr Leichtigkeit gewinnst). Selbst die Frage nach Freund oder Feind geht manchmal im Gedankengefussel unter: Der Feind in meinem Kopf (stopp den inneren Kritiker!) und Der Freund in meinem Kopf (nutze bewusst die Kraft deiner Gedanken). Da kann man sich nur wünschen: Kopfsalat adé (mit Sicherheit zu mehr Gelassenheit mit der GESH-Methode), denn was wir jetzt brauchen, ist: Kopf frei für den kreativen Flow (Übungen, Impulse und Rezepte). Und danach geschieht, wie durch Magie, das: Kurz mal nicht nachgedacht – bäm – glücklich! (wie sich dein Leben verbessert, wenn du aufhörst, dir unnötige Sorgen zu machen).

    Nicht nur im Bereich der Alltagspsychologie hilft uns die Vielfalt der Ratgeberliteratur, auch im Bereich der Sachgruppe 610, Medizin und Gesundheit, passt sie sich fluide aktuellen Bedürfnissen und Strömungen an. In diesem Jahr fiel uns auf, dass es vermehrt Bücher über einen ganz bestimmten Lebensabschnitt gibt, den man früher eher diskret oder nur tuschelnd behandelte: die Wechseljahre. Irgendwann erwischt sie uns alle, übrigens auch Männer, selbst wenn wir für sie nur einen einzigen Buchtitel in diesem Jahr gefunden haben: Von Mann zu Mann – Midlife-Crisis oder Wechseljahre (Die ungeschönte Wahrheit über uns Männer). Frauen gehen diese Sache offenbar offensiver an: Wechseljahre … na und!? (ein Ratgeber für Frauen in den Wechseljahren) heißt es hier fast trotzig, und hier eher verträumt: Duftende Magie der Wechseljahre (auf dem Weg zu Deiner Mitte mit ätherischen Ölen). Wichtig ist dabei vor allem, dass man sich lieb hat und gut pflegt, egal, ob Mann oder Frau: Die Männerhaar Formel (endlich frei von Schuppen, Kopfhautjucken und Haarausfall – Extra: Expertentipps für einen gepflegten Bart) und Women in Balance (die 10 häufigsten Symptome der Wechseljahre und was Frau dagegen tun kann).

    Denn Älterwerden ist kein Grund zum Jaulen (Hundeweisheit für mehr Gelassenheit), weshalb wir uns nun dem Reich unserer tierischen Freunde zuwenden. Beschäftigen wir uns doch einmal mit der Melancholie des Mammuts : ausgestorbene Tierarten und wie sie zu neuem Leben erweckt werden können, obwohl … nein, das hat einen eher frankensteinischen Touch in Richtung Jurassic Park und sollte besser fantasievollen Köpfen wie Mary Wollstonecraft Shelley und Steven Spielberg überlassen bleiben. Faszinierend biologisch ist hingegen: Die Kultur der wilden Tiere (Wie Wale Familien gründen, Papageien Schönsein lernen und Schimpansen Frieden schließen) oder, wenn wir tiefer tauchen, zum Beispiel in der Tiefsee und Denken wie ein Oktopus, oder: Tentakuläres Begreifen. Wem diese wunderbaren und intelligenten Kreaturen zu fremdartig sind, wendet sich des Menschen bestem Freund zu und geht Auf Schnüffeltour mit meinem Hund (artgerechte Beschäftigung ohne Training und Vorbereitung). Was sie nicht alles können! Wir erfahren es in diesem Buch: Faszination Hundenase (was sie (riechen) kann und wie das den Hund auslastet). Der Aha-Effekt in Sachen Tierkommunikation ist hier zu finden: Wie ich meinen Hund endlich verstehe (Von Bellen bis Schwanzwedeln: Hundeverhalten entschlüsseln. Mit 20-Erklär-Videos). Ganz, als wolle der Schnuffi sagen: Keep cool, Frauchen (wie du in allen Situationen mit deinem Hund gelassen bleiben kannst, das Beste aus dem Mental-, Resilienz- und Achtsamkeitstraining für HundehalterInnen, mit dem richtigen Mindset zum perfekten Mensch-Hund-Team). Gilt sicher auch für Männer (siehe Thema Wechseljahre). Denn jede* Hundefreund*in, gleich, ob Frau oder Mann, sagt sich wohl: Mein Herz schlägt Hund (mit emotionaler Kommunikation zu echter Bindung zwischen Mensch und Hund). Wird die Fellnase älter, macht man sich schlau über: Mein Partner mit der grauen Schnauze (senior : was der alte Freund jetzt braucht!).

    Dies führt uns zu dem perfekten Ambiente außerhalb von Wald und Wiese für den Hund und sein Herrchen oder Frauchen – den Garten! Ob illegales Buddeln im Blumenbeet oder fröhliches Schnurcheln zwischen Schöllkraut und Storchenschnabel – sowohl Canis lupus familiaris als auch Homo sapiens sind ein ganz anderer Mensch im eigenen Gärtlein! Die Gartenliteratur gibt uns recht mit euphorisch-blumigen Buchtiteln wie Lang lebe mein Basilikum! (40 Kräuter nachhaltig anbauen und genießen : Kräuterglück für drinnen und draußen), Lauch liebt Karotte (schnell & einfach geniale Gemüsebeete planen), Wilde Kübel (Gestaltungsideen für Balkon & Terrasse : naturnah, insektenfreundlich, unkompliziert und Trockenhelden im Gemüsebeet – so überlebt dein Nutzgarten in trockenen Zeiten). Doch natürlich wird der Garten nicht nur besungen – es gibt auch bodenständig praktische Literatur! Machen Sie sich Gartenschlau (300 Tipps, die Ihnen wirklich helfen), betreiben Sie Rethink – Garten (DIYs & Lifehacks für ein nachhaltiges Leben – naturnah selbst versorgen, bewusst pflanzen, umweltschonend düngen), lassen Sie sich inspirieren mit Pflanz dir Schatten! (robuste Pflanzen & geniale Konzepte für Schatten im Garten) und alles ist In null Komma grün (Kräuter, Obst und Gemüse anbauen und ernten). Dann werden Sie und Ihr Hundi sich sagen können: In meinem Garten blüht das Glück (Wissenswertes, DIYs und Rezepte aus deinem grünen Paradies).

    Dass das Glück in unser aller Garten blüht, hoffen wir sehr und wünschen Ihnen einen fröhlichen Rutsch in ein friedvolles neues Jahr 2025!

  • „Ihr glattes Laub, wie eine weise Hand“

    „Ihr glattes Laub, wie eine weise Hand“

    Die blühende Bibliothek zur Weihnachtszeit

    Stechpalmenzweig im Garten der DNB Frankfurt am Main
    Fast wie ein Kreuz geformt – Stechpalme in weihnachtlichem Gewand
    Foto: Kathrin Wilhelm, DNB

    In Deutschland ist die Tanne DER weihnachtliche Sehnsuchtsbaum, oft nur als Baumskulptur unter flauschigem Schnee erkennbar oder lichterfunkelnd als Christbaum. Bei unseren Nachbarn Großbritannien und Frankreich und über dem großen Teich in Nordamerika ist es gemeinsam mit der Mistel die Stechpalme (lat. Ilex aquifolium) mit ihren stacheligen Zweigen und roten Beeren, die weihnachtliche Gefühle weckt. Davon spricht das britische Christmal Carol (Weihnachtslied) Deck the Halls (Schmückt die Säle):

    „Deck the halls with boughs of Holly,

    T’is the season to be jolly ….“

    („Schmückt den Saal mit Stechpalmzweigen,

    schließt den Bund zu frohem Reigen […]“

    Wikipedia erklärt uns, dass „Bäume mit immergrünem Laub in Mitteleuropa sehr selten und von den Germanen und Kelten verehrt worden sind. Schon vor der Eroberung Britanniens durch die Römer war es Sitte, den Wohnraum mit beerentragenden Ilex-Ästen und Efeu (männliches und weibliches Prinzip) zu schmücken. Auch Plinius der Ältere erwähnt bereits die Verwendung als Hausschmuck.“

    Ein Zweig der Stechpalme im Garten der DNB in Frankfurt am Main
    Ein Stechpalmenzweig grüßt aus dem Garten der DNB in Frankfurt am Main
    Foto: Kathrin Wilhelm, DNB

    Wie aber kommt die Stechpalme zu ihrem deutschen Namen? Dass sie sich mit stacheligen Blättern schützt, merkt man spätestens, wenn man einen Zweig für den Weihnachtskranz pflücken will, aber an die Wuchs- oder Blattform einer Palme erinnert sie eher nicht. Die Antwort finden wir in dem christlichen Brauch des Palmsonntags, an dem traditionell an den Einzug Jesu in Jerusalem erinnert wird. Da in unseren Breiten keine echten Palmenzweige zur Hand waren, weihte man kurzerhand Weiden, Buchsbaum oder Stechpalmen und streute sie auf den Boden.

    Spazieren wir in diesem Winter in den Garten des Frankfurter Hauses der Deutschen Nationalbibliothek, finden wir nahe der Feuerwehrausfahrt zur Schlosserstrasse drei Stechpalmenbüsche in einem Beet, geschützt von der Mauer des Nachbarhauses. Wie schön, solch einen alten heiligen Baum bei uns zu haben!

    Ilex mit Frucht
    Foto: Kathrin Wilhelm, DNB

    Fotografiert haben wir sie mit ihren Beeren, die eine hochwertige Winternahrung für unsere gefiederten Freunde, die Amseln, Drosseln und Rotkehlchen sind. Menschen sollten sie allerdings nicht essen – Blätter und Früchte sind leicht giftig, aber als Räucherwerk in den Rauhnächten verwendbar.

    In der Folklore wird die Stechpalme (engl.: Holly) Frau Holle zugeordnet und in zahlreichen Ortsnamen verewigt. Da auch die Namen Hülse, Hölse und Hustbaum für sie im Deutschen gebräuchlich sind, erscheint sie in Hülsede, Hüls, Hüllhorst, Hülsenbusch und Hülscheid im Ortsschild. Nicht zu vergessen Burg Hülshoff, dem die Dichterin und Komponistin Annette von Droste-Hülshoff ihren Namen verdankt. Und woher kommt wohl der Ortsname Hollywood, dem glamourösen Stadtteil von Los Angeles in California, USA?

    Auch in literarischen Geschichten spielt die Stechpalme eine Rolle – das Land Hollin (dt. Hulsten) ist die Heimat der Elbenringe in J.R.R. Tolkiens Lord of the Rings (Der Herr der Ringe) – ausführlich erfahren wir darüber im Silmarillion, das die mythologische Vorgeschichte der Ring-Saga erzählt. Als Philologe war Tolkien vom Ursprung und Spiel mit Worten fasziniert und erfand während des Schreibens zwei elbische Sprachen, Quenya und Sindarin (sowie zahlreiche Fragmente anderer fiktiver Sprachen wie Entisch oder die Schwarze Sprache Saurons).

    Interessant ist auch, dass J.K. Rowling sich dafür entschied, Harry Potters Zauberstab von Mr Olivander aus Stechpalmenholz (und einer ganz besonderen Phoenix-Feder) anfertigen zu lassen. Es symbolisiert Glück, Wohlstand und Schutz vor dem Bösen – Dinge, die Harry im Kampf gegen seinen Widersacher Lord Voldemort gut brauchen kann und zu nutzen weiß.

    Natürlich haben sich auch die Dichter – der unermüdliche Goethe! – mit der Stechpalme beschäftigt. In seinem Gedicht The Holly Tree (Die Stechpalme) spricht der bekannte englische Poet Robert Southey (1774-1843), dessen Schriften auch ins Deutsche übersetzt wurden, die Leser*innen direkt an:

    O Reader! hast thou ever stood to see

    The holly-tree?

    The eye that contemplates it well perceives

    Its glossy leaves

    Ordered by an intelligence so wise […]

    „Oh Leser, hast du je betrachtet die

    Stechpalme? – Sieh

    Ihr glattes Laub, wie eine weise Hand […]“

    Und mit diesem grünen Gruß aus dem Frankfurter Bibliotheksgarten wünschen wir gesegnete Festtage und eine friedliche, glückliche Weihnachtszeit.

    Stacheln, Frucht und Zweig der Stechpalme
    Foto: Kathrin Wilhelm, DNB